Fenstergesimse für Dresden
Das macht stutzig: „Wir haben mitgebaut“, steht da in großen Lettern über einem Bild der Dresdner Frauenkirche. Das Ganze erinnert optisch ein bisschen an Ken Folletts „Säulen der Erde“, jenen historischen Erfolgsroman, der den Bau einer Kathedrale im Mittelalter beschreibt. Dahinter verbirgt sich eine Geschichte, die wieder einmal zeigt, dass es im Leben Situationen gibt, in denen völlig unerwartet die unterschiedlichsten Interessen eines Menschen, einer Familie, einer Firma sich ergänzen, dass sie ein neues, komplexes Gebäude ergeben, in dem ein Stein auf den anderen passt.
Der Familie Werthebach ist das im Jahr 2001 so ergangen, als es an die Planungen zum 100-Jährigen der Firma Länge ging, des ältesten Steinmetzbetriebes in Südwestfalen, der 1969 von der Familie Werthebach übernommen wurde. Im Frühjahr des Jahres verbrachte die ganze Familie einige Tage in Dresden und besichtigte dort natürlich auch die damals im Bau befindliche Dresdner Frauenkirche. Der Geschäftsführer der Sächsischen Sandsteinwerke, die verantwortlich für die Lieferung (und die Qualität) der Steine für die Barockkirche waren, führte die Steinmetzfamilie durch den Bau und berichtete von den Herausforderungen dieser Arbeit.
Begeistert von der Idee des Wiederaufbaus dieser so symbolträchtigen Kirche, begeistert von der Idee des Kirchenbaus, beschloss die Familie, einen Beitrag zum Wiederaufbau zu leisten (die Siegener Zeitung berichtete ausführlich). „Wann wird so eine Kirche schon einmal gebaut?“, fasst (der heutige) Geschäftsführer Uwe Werthebach beim Gespräch mit der SZ die damaligen Überlegungen zusammen. Gedacht, getan: Die Bewerbung um Mitarbeit bei der Stiftung Wiederaufbau wurde angenommen (die Stiftung legte strenge Kriterien an alle mitarbeitenden Firmen an), die Steine wurden gekauft. Im Sommer 2001 wurden sie mit der Bezeichnung Ehi 78/3 geliefert, mitsamt einem sehr detaillierten Plan inklusive Schablone für die Bearbeitung: Schließlich mussten sie passgenau den Anschluss an die Fundstücke 02134 bilden.
Auf dem Rubensfest fertigten die Mitarbeiter zwei Rundbogensteine für ein Fenster im Treppenturm E, der zur Kuppel hinaufführt. Da dieser Turm der am wenigsten zerstörte ist, fallen die hellen Steine aus Siegen sofort auf! Zusätzlich dazu überwies die Firma eine Spende, die durch das Drehorgelspiel von Seniorchef Günter Werthebach beim Fest zusammengekommen war und von der Firma verdoppelt wurde. Doch damit war das Engagement der Familie noch nicht vorbei: An der Einweihungsfeier der Frauenkirche wollten Günter Werthebach und seine Frau Rita gerne teilnehmen. Sie bewarben sich – und erhielten zwei der begehrten Plätze. Rita Werthebach hatte schon vor dieser Zusage ein Hotelzimmer in Dresden reserviert, mit Blick auf den Eingang der Kirche, um auf jeden Fall dabeizusein. „Das war die erste Zimmerreservierung für diese Feier überhaupt“, hieß es im Hotel“, erzählt sie. Doch 15 Tage vor der Feier am 30. Oktober 2005 starb Günter Werthebach, ohne diesen Teil seines Traumes verwirklichen zu können. Rita Werthebach machte sich, ermuntert von den Veranstaltern und ihrer Familie, dann trotzdem (oder vielleicht gerade deshalb) auf den Weg nach Dresden, begleitet von Tochter Jutta, die allerdings nicht an der Einweihungsfeier teilnehmen durfte. Vorher überreichte Rita Werthebach noch den offiziellen Gruß der Stadt Siegen an Dresdens Oberbürgermeister Ingo Roßberg.
So mündeten die Begeisterung und der Einsatz für dieses große Projekt doch noch in einem besonderen Abschluss. Und warum erinnern Werthebachs gerade jetzt noch einmal an das Projekt Frauenkirche? Im Fernsehen lief kürzlich die Verfilmung der „Säulen der Erde“. Uwe Werthebach, als Fan des Buches und mit der Begeisterung eines ehemaligen Regensburger Domspatzen, der unter dem Dirigat von Georg Ratzinger erlebte, wie Kathedralen leben, wenn sie mit der richtigen Musik gefüllt werden, möchte noch einmal an das große Kirchenbauprojekt dieser Tage erinnern. Und vielleicht auch daran, was alles erreicht werden kann mit der richtigen Mischung aus Engagement, Fortune und Durchhaltevermögen.
Quelle: Siegener Zeitung